7 Naturen

Lübecks Naturerlebnisräume
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Ich habe einen Mann aus Holz im Rücken

von Sigune Schnabel
geschrieben in Wulfsdorfer Weg

Landmärchen

Ich streife Worte von den Dingen ab.

Darunter leuchten sie in nie gekannter Schönheit.

Der Ahorn trägt hellere Farben,

die Eiche singt klar, Dohlen

fliegen übers Stoppelfeld, Lichtinseln wandern

über die Gesichter.

Niemand erkennt sich wieder

in dieser Welt

ohne Namen.

Erzählen will ich von ihr,

doch gestern ist mir die Stimme vertrocknet.

Ich leihe dir meinen Schatten

Noch sind die Felder grün und legen sich

in den Sommer. Dort schläft es sich

am besten, seine weiche Hand hält

die Erde fest.

Doch den Märchen fallen Worte aus.

Sie wachsen nicht mehr nach.

Die Menschen sammeln sie und legen sie

zu fremden Sprachen.

Sie scheuen sich davor,

eins an die Lippen zu nehmen:

Dort lösen sie sich in Lust auf.

Bäume fallen dem Wetter in den Rücken

Ich habe die Jahre trockengelegt,

damit ich hineingehen kann.

Die Fische habe ich umgesiedelt

und die Algen mitgenommen.

Gras hat sich ausgebreitet,

und Feldblumen nicken mit den Köpfen.

Die Entscheidung war nicht leicht,

aber ich kann nicht schwimmen.

Ich wäre untergegangen

in dieser rauschenden Zeit.

Ist der Tod ein Stück Holz

Ich habe einen Mann gesehen,

der am Boden liegt.

Er war nicht allein.

In seinem Garten wachsen Äpfel

und Ahornsamen.

Der Mann atmet nicht

und ist aus Holz.

Den Kopf hat er verdreht.

Schon vor seiner Geburt

ist er gestorben,

als ein Baum zur Erde fiel.

Ich habe einen toten Mann im Rücken.

Vielleicht hat das nichts zu bedeuten.

Er klappert leise,

will für mich singen,

aber er hat keinen Mund.

Das Blau teilt sich mit Wolken den Platz

Gefallen bin ich

in die Landschaft.

Sie nimmt mich

nur langsam auf.

Mit der Zeit breche ich

von mir ab.

Der Wind spricht

von anderen Tagen.

Sie bewegen sich über den Boden,

ziehen durch Brennnesseln und Gras.

Finden auch mich.

Vielleicht bleiben die Tage stehen

und erzählen dem Tod,

dass er keine Farbe hat.

Du glaubst, ich sei schutzlos

Noch sind die Ahornblätter grün.

Vor dem Zaun wehen sie im Gras, wollen

festhalten am Leben.

Bäume wachsen über die Sonne.

Ich suche nach Licht,

während Worte verblassen.

Meine Haut ist abgelaufen.

Ich traue mich nicht mehr,

sie zu benutzen.

Erst im Schlaf sehe ich:

Darunter ist neue gewachsen.

Sollbruchstelle

Am Rand der Felder wächst

meine Sprache in den Boden.

Wurzeln verzweigen sich

in seinen Rissen.

Der Regen hat aufgehört.

Ahorn wippt im Wind.

Meine Worte sind tief.

Ich kann sie nicht mitnehmen,

betrachte sie von oben.

Muss ich sie brechen,

um sie zu tragen,

frage ich mich.

Wachsen mir Jahresringe

Die Grillen zirpen,

damit ich den leeren Moment nicht sehe.

Flugzeuge holen die Stille zurück,

fliegen mit ihr fort.

Ich ziehe Fäden aus meiner Erinnerung.

Sie zerfällt in einzelne Stücke.

Der Wind weiß,

wie er sie anordnen muss.

Ich renne ihr nach,

sie flattert, treibt

mich an.

Unter meinen Füßen hält das Gras

den Atem an.

Ich wachse nach

Licht fällt

auf mich ein, färbt mich

in ein anderes Grün. Ich stehe

im Weg, ein letzter Fleck des Sommers.

Flugzeuge zerschneiden den Himmel.

Ich frage mich, ob ich einen Splitter von ihm

mitnehmen kann,

wenn ich gehe.

Nicht alle Erinnerungen kommen durch den Winter.

Es hängt von der Witterung ab

und den Breitengraden.

Spaziergang

Das Augustlicht nimmt die Straße ein.

Lass doch noch Platz

für andere, sagst du zu ihm,

aber es macht sich nicht klein.

Im Schatten der Häuser ziehst du den Körper ein,

zwängst dich an den Rand.

Du willst mit Passanten sprechen,

aber du hast die Worte

am Bahnhof vergessen.

In den Ritzen der Häuser wächst Unkraut.

Vielleicht wird es weiter kommen

als du.

Der Sommer fällt

Der Himmel hat Licht aufgespannt.

Es ist von Rissen durchzogen,
lässt Schatten durch.

Ich balanciere freihändig über Baumstämme,

von einer Erinnerung zur anderen reichen sie,

erzählen Geschichten,

doch ich schaue nicht hin.

Der Sommer stolpert.

Ich strecke mich nach ihm,

als ich merke, dass ich

wie ein Blatt von mir

abgefallen bin.

Ein Schatten ist zu hören

Deine Worte sind flach.

Ich sehe über sie hinweg.

Baumschatten bewegen sich,

liegen auf meinem Weg.

Ein Chor stimmt an und singt

von einer Welt, in der ich

rückwärts gehe: Ich überschneide mich

mit mir und laufe

durch mich wie eine Tür.

Es gibt keinen Spiegel, nur ein Riss

in der Wand schluckt meinen Blick.

Wo kämen wir ohne sie hin

Du sagst, die Stille atmet.

Zu ihren Füßen sitzen Geschichten

und lauschen.

Manchmal öffnet eine den Mund,

aber nur aus Erstaunen.

Der Brustkorb bewegt sich

auf und ab.

Gestern aber ist der Stille

die Luft ausgegangen.

Sie fiel um und die Geschichten

mussten sie retten.

Einer gelang es, sie wiederzubeleben,

doch sie ist noch schwach.

Du sollst die Stille nicht besuchen.

Sie muss sich noch erholen.

Eines Tages kommt sie zurück.

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