Ich habe einen Mann aus Holz im Rücken
geschrieben in Wulfsdorfer Weg
Landmärchen
Ich streife Worte von den Dingen ab.
Darunter leuchten sie in nie gekannter Schönheit.
Der Ahorn trägt hellere Farben,
die Eiche singt klar, Dohlen
fliegen übers Stoppelfeld, Lichtinseln wandern
über die Gesichter.
Niemand erkennt sich wieder
in dieser Welt
ohne Namen.
Erzählen will ich von ihr,
doch gestern ist mir die Stimme vertrocknet.
Ich leihe dir meinen Schatten
Noch sind die Felder grün und legen sich
in den Sommer. Dort schläft es sich
am besten, seine weiche Hand hält
die Erde fest.
Doch den Märchen fallen Worte aus.
Sie wachsen nicht mehr nach.
Die Menschen sammeln sie und legen sie
zu fremden Sprachen.
Sie scheuen sich davor,
eins an die Lippen zu nehmen:
Dort lösen sie sich in Lust auf.
Bäume fallen dem Wetter in den Rücken
Ich habe die Jahre trockengelegt,
damit ich hineingehen kann.
Die Fische habe ich umgesiedelt
und die Algen mitgenommen.
Gras hat sich ausgebreitet,
und Feldblumen nicken mit den Köpfen.
Die Entscheidung war nicht leicht,
aber ich kann nicht schwimmen.
Ich wäre untergegangen
in dieser rauschenden Zeit.
Ist der Tod ein Stück Holz
Ich habe einen Mann gesehen,
der am Boden liegt.
Er war nicht allein.
In seinem Garten wachsen Äpfel
und Ahornsamen.
Der Mann atmet nicht
und ist aus Holz.
Den Kopf hat er verdreht.
Schon vor seiner Geburt
ist er gestorben,
als ein Baum zur Erde fiel.
Ich habe einen toten Mann im Rücken.
Vielleicht hat das nichts zu bedeuten.
Er klappert leise,
will für mich singen,
aber er hat keinen Mund.
Das Blau teilt sich mit Wolken den Platz
Gefallen bin ich
in die Landschaft.
Sie nimmt mich
nur langsam auf.
Mit der Zeit breche ich
von mir ab.
Der Wind spricht
von anderen Tagen.
Sie bewegen sich über den Boden,
ziehen durch Brennnesseln und Gras.
Finden auch mich.
Vielleicht bleiben die Tage stehen
und erzählen dem Tod,
dass er keine Farbe hat.
Du glaubst, ich sei schutzlos
Noch sind die Ahornblätter grün.
Vor dem Zaun wehen sie im Gras, wollen
festhalten am Leben.
Bäume wachsen über die Sonne.
Ich suche nach Licht,
während Worte verblassen.
Meine Haut ist abgelaufen.
Ich traue mich nicht mehr,
sie zu benutzen.
Erst im Schlaf sehe ich:
Darunter ist neue gewachsen.
Sollbruchstelle
Am Rand der Felder wächst
meine Sprache in den Boden.
Wurzeln verzweigen sich
in seinen Rissen.
Der Regen hat aufgehört.
Ahorn wippt im Wind.
Meine Worte sind tief.
Ich kann sie nicht mitnehmen,
betrachte sie von oben.
Muss ich sie brechen,
um sie zu tragen,
frage ich mich.
Wachsen mir Jahresringe
Die Grillen zirpen,
damit ich den leeren Moment nicht sehe.
Flugzeuge holen die Stille zurück,
fliegen mit ihr fort.
Ich ziehe Fäden aus meiner Erinnerung.
Sie zerfällt in einzelne Stücke.
Der Wind weiß,
wie er sie anordnen muss.
Ich renne ihr nach,
sie flattert, treibt
mich an.
Unter meinen Füßen hält das Gras
den Atem an.
Ich wachse nach
Licht fällt
auf mich ein, färbt mich
in ein anderes Grün. Ich stehe
im Weg, ein letzter Fleck des Sommers.
Flugzeuge zerschneiden den Himmel.
Ich frage mich, ob ich einen Splitter von ihm
mitnehmen kann,
wenn ich gehe.
Nicht alle Erinnerungen kommen durch den Winter.
Es hängt von der Witterung ab
und den Breitengraden.
Spaziergang
Das Augustlicht nimmt die Straße ein.
Lass doch noch Platz
für andere, sagst du zu ihm,
aber es macht sich nicht klein.
Im Schatten der Häuser ziehst du den Körper ein,
zwängst dich an den Rand.
Du willst mit Passanten sprechen,
aber du hast die Worte
am Bahnhof vergessen.
In den Ritzen der Häuser wächst Unkraut.
Vielleicht wird es weiter kommen
als du.
Der Sommer fällt
Der Himmel hat Licht aufgespannt.
Es ist von Rissen durchzogen, lässt Schatten durch.
Ich balanciere freihändig über Baumstämme,
von einer Erinnerung zur anderen reichen sie,
erzählen Geschichten,
doch ich schaue nicht hin.
Der Sommer stolpert.
Ich strecke mich nach ihm,
als ich merke, dass ich
wie ein Blatt von mir
abgefallen bin.
Ein Schatten ist zu hören
Deine Worte sind flach.
Ich sehe über sie hinweg.
Baumschatten bewegen sich,
liegen auf meinem Weg.
Ein Chor stimmt an und singt
von einer Welt, in der ich
rückwärts gehe: Ich überschneide mich
mit mir und laufe
durch mich wie eine Tür.
Es gibt keinen Spiegel, nur ein Riss
in der Wand schluckt meinen Blick.
Wo kämen wir ohne sie hin
Du sagst, die Stille atmet.
Zu ihren Füßen sitzen Geschichten
und lauschen.
Manchmal öffnet eine den Mund,
aber nur aus Erstaunen.
Der Brustkorb bewegt sich
auf und ab.
Gestern aber ist der Stille
die Luft ausgegangen.
Sie fiel um und die Geschichten
mussten sie retten.
Einer gelang es, sie wiederzubeleben,
doch sie ist noch schwach.
Du sollst die Stille nicht besuchen.
Sie muss sich noch erholen.
Eines Tages kommt sie zurück.
Alle Texte
- »Inventur. Kindheiten. Wuchs.« von Viktor Dallmann
- »Scherbenhirte« von Christina Srebalus
- »Plankenwiese« von Anja Schwennsen
- »Heldenreise« von Judith Gridl
- »gestrüpp gut eingehegt« von Anna Egerter
- »Ich habe einen Mann aus Holz im Rücken« von Sigune Schnabel
- »Landgraben. Vom Entgrenzen« von Steffen Greiner